Poesie des Alltags

Noch ist es düster. Februar. Nie kam mir einer derartig eisig vor. Eisig und nass. Aber - man kann wieder beim Bäcker sitzen. Mit entsprenenden Nachweisen, das ist neu. Hätte man sich vor zwei Jahren nicht vorstellen können, dass es mal normal sein wird, wenn die Bächereifachverkäuferin einen vor Verkauf eines einzelnen Krapfens fragt: “Sind sie geimpft? Wie oft? Personalausweis bitte.” Aber - immerhin- man kann den wieder da essen, den Krapfen. Und den Gesprächen lauschen, die um einen herum stattfinden. Links von mir sitzt eine aus Polen.

Das höre ich, weil sie mit der links von ihr, polnisch spricht. Ein Mann mischt sich ein. Er sitzt links von der, die der polnisch sprechenden zuhört. (Richtig, wir sitzen wie die Hühner auf der Stange. Und essen Kuchen. Und hören einander zu.) Der Mann schielt verliebt nach links. Huh! Denke ich. Verliebt gucken… Gibt’s das noch? Es kommt mir total anachronistisch vor. Auf jeden Fall hab ich es lang nicht mehr gesehen. Im öffentlichen Raum. Hab ich es vermisst? Weiss ich gerade nicht. Der Man ist ziemlich alt, das sehe ich. Von seinem Hals hängt faltige Haut über sein Hemd. Ein Hahnenkamm. Irre, wie der die Augen dreht. Der Mensch ist ein Tier. Vielleicht hat er es jahrelang geübt. All die Jahre, die er alt geworden ist. So lange, dass selbst eine zweijährige Pandemie es nicht zerstören kann. Er guckt einfach. Mit leuchtenden Augen und verdrehtem Hals. Und wartet.

Auf seinen Moment. Ich bin aber auch nicht schlecht. Denke ich. Ich sitze ja ganz aussen, sehr weit weg von ihm und kriege trotzdem alles mit. Wir müssen lange warten, er und ich und unsere Hälse drehen, weil die polnisch Sprechende ist in Fahrt. Sie regt sich über irgendetwas auf. “Da wird aber der Kopf ganz rot” kommentiert der Mann. Er sagt es laut. Rüber, direkt zu den Frauen. “Entschuldigung?!”Die Polin ist erst irritiert, sie hat ihn vorher nicht bemerkt, den verliebten Blick, sie war ja in Fahrt. Aber jetzt erkennt sie ihn. Sofort. Und lächelt sanft zurück. Ist ihr egal, dass der dazwischen grätscht. Mitten in ihr Lamento rein. “Tolle Sprache, die sie da sprechen. Polnisch oder?” fragt der Alte jetzt die Frau. Sie nickt und kichert.

Die links von ihr, die Zuhörerin, kicher mit. “Noch röter jetzt, der Kopf!” ruft der Mann und die Begeisterung ist ihm anzusehen. “Sie erinnern misch an Eine!” “So…?” fragt die Polin kokett. “Ja, an meine Frau!” Sie fährt zurück. Die Frau von dem da, muss vier mal so alt sein, wie sie selbst. Die Polin ist sehr jung, fast noch ein Kind. “Jaja…”der Alte träumt. Die Polin bleibt erstaunlich zugewandt: “Sprechen sie denn polnisch?!” fragt sie ihn skeptisch und wechselt mit ihrer Zuhörerin einen bedeutungsschweren Blick. (Wer weiss, worüber die geredet haben.) “Nö.” antwortet der Mann und kichert jetzt, “die ist schon lange tot. Jetzt kann ich es nicht mehr. Klingt aber toll!” Die Polin zögert nicht. Sie legt dem Alten die Hand auf den Arm. “Das tut mir aber leid.” “Ach, sagt der Mann “die war ein mieses Stück. Nicht so wie sie!” Jetzt kichern alle drei. Mit roten Köpfen. Und essen Krapfen. Weil man das derzeit im Rheinland isst.

Im Park hat eine alte Frau ihr Fahrrad mit Entenfutter ausstaffiert. “Kommt! Kommt!” lockt sie die Tiere, die sich um sie scharen. Fünf Schwäne zähle ich. Jede Menge Gänse, ein paar Enten, dazwischen Tauben und ein winziger, schwarzgelocketer, fetter Hund. Den meint sie eigentlich. Es muss ihrer sein. Die Gänse lassen ihn in Ruhe, sie scheinen ihn zu kennen. Auch ein alter Herr, mit stumpfen Augen, blind. Ab und zu nimmt er mit der Zunge ein paar Krumen auf. Die Gänse lassen ihn.

Finde ich gut, dass sich heute so um die gekümmert wird. Um diese alten Herren. Es ist nämlich wirklich richtig kalt. Aber es liegt was in der Luft. Immer liegt das da. Und atmet. Ich kann es spüren. Es ist ein bisschen unheimlich und sehr vital. Und es bewegt sich. Immerzu.

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Berlinale 2022. Wo zwei sind, da ist Theater.

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Erste Tat im neue Jahr: